Zinn bleibt aus Sicht von Fitch Solutions’ Researcheinheit BMI ein strategisch wichtiger Rohstoff – und ein angespanntes Marktsegment. In ihrem jüngsten Marktbericht haben die BMI-Analysten die Zinnpreisprognose für 2026 von bislang 32.000 auf 35.000 US-Dollar je Tonne angehoben. Begründet wird dies mit anhaltenden Angebotsstörungen bei gleichzeitig stabiler Nachfrage aus der Halbleiterindustrie.
An der London Metal Exchange (LME) lagen die Dreimonatskontrakte Mitte November bei rund 36.800 US-Dollar pro Tonne. BMI geht davon aus, dass der Zinnpreis durch die Kombination aus knapper Versorgung und robustem industriellen Bedarf weiter unterstützt bleibt.
Zinn-Angebot: Indonesien und Myanmar als Schlüsselregionen
Im globalen Zinnmarkt spielt das Angebot aus wenigen Ländern eine zentrale Rolle. Dominant ist Indonesien, seit Jahren der wichtigste Exporteur. Dort beeinträchtigen aktuell Verzögerungen bei der Genehmigung der jährlichen Arbeitslizenzen Produktion und Ausfuhren. Bereits in der Vergangenheit war der Metallfluss aus dem südostasiatischen Staat mehrfach ins Stocken geraten, wenn Regierung und Behörden Förder- und Exportregeln verschärften.
Zusätzlich steht Myanmar im Fokus. Die Lieferkette für Zinnkonzentrat hängt nicht nur von der indonesischen Politik ab, sondern auch von Entscheidungen der De-facto-Autoritäten im Wa-Staat im Norden Myanmars. Die International Tin Association hatte im Juli angekündigt, dass Lieferungen aus der Region wieder anlaufen sollen, nachdem mehrere Betreiber der großen Zinnmine Man Maw Drei-Jahres-Lizenzen erhalten hätten und ein kontrollierter Neustart im Gange sei.
Zum Zeitpunkt des BMI-Berichts Ende November lagen jedoch keine belastbaren Fortschritte über tatsächliche Exportmengen vor, weshalb die Analysten eine abwartende Haltung einnehmen. Myanmar ist nach China und Indonesien der drittgrößte Zinnproduzent der Welt und verfügt laut USGS-Daten über rund 700.000 Tonnen an Zinnreserven – etwa 15 % der globalen Reserven. Entsprechend sensibel reagiert der Markt auf jede Nachricht aus dem Land.
Knappes Projektangebot verschärft den Zinnmarkt
Neben den politischen und regulatorischen Risiken in den Förderländern verweist BMI auf strukturelle Engpässe in der Projektpipeline. Weltweit sind nur wenige neue Zinnminen in der Entwicklung, was den Markt für Zinnkonzentrat zunehmend verengt. Die Folge: Schmelzbetriebe konkurrieren stärker um verfügbares Material, und das Wachstum der veredelten Produktion bleibt eingeschränkt.
Auch die Situation in China trägt zur knappen Angebotsseite bei. Dort ist die Zinnproduktion der Hütten nach Angaben der Analysten durch einen Mangel an Konzentraten begrenzt. Gleichzeitig hat die wirtschaftliche Aktivität in der Volksrepublik vor dem Hintergrund entspannterer Handelskonflikte angezogen – ein Umfeld, das den Bedarf an Zinn in industriellen Anwendungen erhöht.
BMI erwartet daher, dass das knappe Angebot an Konzentrat in den kommenden Jahren ein wesentlicher Preistreiber bleibt. Ein ausgeprägter Ausbau der verarbeiteten Zinnproduktion sei unter diesen Bedingungen schwierig.
Zinn-Nachfrage: Halbleiter, E-Mobilität und Solar als Wachstumstreiber
Auf der Nachfrageseite wird Zinn maßgeblich von der Elektronikindustrie geprägt. Das Metall ist ein zentraler Bestandteil von Loten in Leiterplatten und Halbleiterbauteilen. Fitch/BMI rechnet damit, dass der globale Zinnverbrauch vor allem durch Elektronik, Elektromobilität und erneuerbare Energien weiter zunimmt.
Elektrische und hybride Fahrzeuge enthalten zunehmend mehr elektronische Komponenten, Steuergeräte und Sensorik – und damit indirekt mehr Zinn. Auch der Ausbau von Photovoltaik-Anlagen spielt eine Rolle: In Solarzellen und Modulen findet Zinn unter anderem im Bereich der Kontaktierungen Verwendung.
Vor diesem Hintergrund stuft BMI Zinn als eine „Rohstoff der Zukunft“-Komponente ein, deren Einsatz in strategischen Technologien weiterwächst. In Kombination mit der angespannten Angebotslage spricht dies aus Sicht der Analysten für einen strukturell enger werdenden Markt.
Ausblick: Zinnmarkt steuert auf Defizit zu
In der Gesamtschau geht BMI davon aus, dass sich der Zinnmarkt in den kommenden Jahren weiter verknappen dürfte. Die Analysten erwarten ein Defizit, da das begrenzte Angebot aus Indonesien, Myanmar und einer dünnen Projektpipeline nicht mit der steigenden industriellen Nachfrage Schritt halten dürfte.
Kurzfristig sei zwar mit Schwankungen zu rechnen, doch die aktuellen Prognosen legen nahe, dass Zinnpreise auf erhöhtem Niveau verbleiben könnten. Für Marktteilnehmer, die den Zinnsektor beobachten – von Minenbetreibern bis zu Industrieabnehmern aus der Elektronik-, Auto- und Solarbranche – bleibt die Entwicklung in den Förderländern und die Realisierung neuer Projekte damit ein zentraler Faktor für die Preisbildung im Jahr 2026 und darüber hinaus.