Als Gold Anfang Februar aus seinem mehrmonatigen Dreieck auszubrechen begann, hielten wir 1.975 US-Dollar für ein realistisches Kursziel. Wir erklärten auch, dass ein kurzzeitiges Überschießen in Richtung 2.000 US-Dollar möglich sei. Damals wussten wir noch nichts von den geopolitischen Turbulenzen, die sich leider in den letzten sechs Wochen entwickelt haben. Die russische Invasion, gefolgt von massiven Sanktionen, hat die Rohstoffe und Gold stark nach oben getrieben.
Auch wenn es sehr schwierig erscheint, den eigenen Analysen zu folgen und gleichzeitig ein offenes Ohr für die Märkte zu haben, sehen wir jetzt eine Situation, in der Gold kurzfristig anfällig geworden ist. Gleichzeitig waren die Fundamentaldaten für Gold noch nie so günstig wie heute, und es braucht nicht viel Aufwärtspotenzial, um einen weiteren Anstieg in Richtung des Allzeithochs bei 2.075 US-Dollar einzuleiten. Gold – Frühjahrskorrektur oder weitere Eskalation?
Betrachten wir den Goldmarkt mit einem Top-Down-Ansatz.
Gold in USD, Monatschart vom 13. März 2022
Seit August 2011 hat Gold eine sehr große Tassen- und Henkelformation ausgebildet. Die am konservativsten gezeichnete Nackenlinie liegt derzeit bei etwa 2.100 USD. Man könnte auch argumentieren, dass die gesamte Zone zwischen 1.900 USD und 2.100 USD die Nackenlinie ist, und sobald Gold diese Widerstandszone durchbrochen hat, nur noch der Himmel die nächste Grenze wäre.
Der Stochastik-Oszillator hat auf dem Monats-Chart ein klares Kaufsignal gegeben, und das jüngste Volumen hat alles in den Schatten gestellt, was wir in den letzten 25 Jahren gesehen haben! Das Bollinger Band auf Monatsbasis (1.980 USD) hat jedoch bisher nur eine kurzzeitige Überschreitung zugelassen und stellt einen starken Widerstand dar, so dass eine Rückkehr über 2.000 USD den Bullen zusätzliche Anstrengungen abverlangen wird.
Insgesamt ist der Monatschart bullisch und man könnte behaupten, dass der Ausbruch in vollem Gange ist. Gleichzeitig deutet der Monatschart jedoch auf einen massiven Widerstand zwischen 1.980 und 2.100 US-Dollar hin. Ein Pullback unter die seit August 2018 gültige Aufwärtstrendlinie bei rund 1.800 US-Dollar erscheint dagegen unwahrscheinlich. Gold könnte also noch einige Zeit zwischen 1.800 und 2.100 US-Dollar konsolidieren.
Gold in USD, Wochenchart vom 13. März 2022
Auf dem Wochenchart hat sich der Goldpreis die vierte Woche in Folge über das Bollinger Band auf Wochenbasis geschoben. Normalerweise sind fünf oder sechs Wochen das Maximum, das ein Aufwärtstrend diese Bänder überspannen kann. Die Luft wird also für die Bullen immer dünner. Auch der Stochastik-Oszillator hat ein Verkaufssignal gegeben.
Offensichtlich ist der Aufwärtstrend noch intakt, aber die Bullen müssen die 2.000-US-Dollar-Marke recht bald zurückerobern. Andernfalls kann die überkaufte Situation leicht einen größeren Rückschlag auslösen. Eine Korrektur zurück zur Nackenlinie des Kopf-Schulter-Musters um 1.840 USD würde einige Zeit in Anspruch nehmen, ist aber nicht unmöglich!
Insgesamt ist der Wochenchart neutral bis leicht bullisch, aber die Kerze der letzten Woche sieht nach einer Umkehr aus. Die Warnsignale nehmen also zu.
Gold in USD, Tages-Chart vom 13. März 2022
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kursentwicklung der letzten Woche einen faden Beigeschmack hat und der Stochastik-Oszillator ein neues Verkaufssignal aktiviert hat. Daher besteht die Gefahr, dass sich die starke Erholung der letzten Wochen in ein typisches Frühjahrs-Top auf dem Goldmarkt verwandelt. Ein Tiefststand unter dem Freitagstief bei 1.958 USD würde bestätigen, dass die Bären die Kontrolle übernommen haben.
Gold in USD, 1-Stunden-Chart vom 13. März 2022
An diesem kritischen Punkt zoomen wir weiter in das Preisgeschehen hinein. Der 1-Stunden-Chart zeigt die letzten 10 Tage auf dem Goldmarkt. Nach einem anfänglichen inversen Kopf-und-Schulter-Muster trieben die Bullen den Goldpreis fast in Richtung des Allzeithochs (2.075 US-Dollar). Nach einer kurzen Dreieckskonsolidierung kehrten die Bären jedoch auf den Markt zurück und schafften es, den Goldpreis in zwei Wellen um fast 110 USD nach unten zu drücken. Unterwegs scheiterte eine erste Gegenbewegung am 38,2 %-Retracement bei 2.008 USD, während Gold im Anschluss an den Ausverkauf am Freitag fast 61,8 % (1.990 USD) dieser zweiten Abwärtswelle wieder aufholen konnte.
Wenn Gold seine Hausse fortsetzen will, muss es also dringend die 1.990 USD und 2.008 USD erobern. Ziemlich genau zwischen diesen beiden Zielen wartet zudem eine erste bärische Abwärtstrendlinie, die ebenfalls durchbrochen werden müsste.
Insgesamt zeigt die Mikroskop-Analyse auf dem 1-Stunden-Chart deutlich, dass Gold erst die 2.000 US-Dollar und 2.030 US-Dollar zurückerobern muss, bevor wir davon ausgehen können, dass diese Rallye noch nicht vorbei ist.
Sentiment – Vorsicht geboten
Schaut man sich die jüngsten Kitco Gold Surveys an, so sind die Privatanleger immer noch ziemlich bullish. Aber die Profis haben in der letzten Woche eine starke Kehrtwende vollzogen. Wie Sie wissen, ist die Stimmungsanalyse der Königsweg. Man erhält nur sehr wenige extreme Signale pro Jahr – normalerweise zwei bis manchmal drei. Dies erfordert eine enorme Geduld. Und oft kann nur ein scharfsinniger Contrarian diese Signale erkennen, geschweige denn auf diese seltenen Signale auch reagieren.
Der aktuelle Stand der Kitco-Goldumfrage und die veränderten Erwartungen der Profis sind natürlich ein deutliches Warnsignal für die Bullen!
Schlussfolgerung – Frühjahrskorrektur oder weitere Eskalation?
Auch wenn die beunruhigenden geopolitischen Entwicklungen unseren Fahrplan auf der Oberseite etwas durcheinandergebracht haben, entspricht die Preisentwicklung insgesamt unserer Vorlage. Aus makroökonomischer Sicht sind die massiven und noch nie dagewesenen Sanktionen und die daraus resultierende implodierende russische Wirtschaft sicherlich deflationär. Die physische Goldnachfrage dürfte jedoch sehr stark bleiben, und die Rohstoffpreise könnten aufgrund des schrumpfenden Angebots weiter explodieren.
Aus technischer Sicht sieht die letzte Woche wie eine Trendwende aus, aber die Bären müssen ihre These mit neuen Tiefstständen unter 1.958 US-Dollar untermauern. Andernfalls werden die Bullen sicherlich sehr bald wieder angreifen.
Eine weitere Beobachtung, die wir bereits in einem unserer letzten Chartbücher erwähnt hatten, ist die Tatsache, dass Silber immer noch nicht bei der laufenden Party im Edelmetallsektor aufgetaucht ist. Der kleine Bruder des Goldes kommt in der Regel kurz vor dem Höhepunkt mit einer starken Outperformance, wirft ein paar Rekorde in die Waagschale, nur um dann die Party komplett zu zerstören. Dieses klassische Muster wurde bisher nicht beobachtet. Sollte Silber beispielsweise innerhalb weniger Tage in Richtung von 30 US-Dollar laufen, würden wir extrem vorsichtig werden. Dieses typische “Top-Signal” fehlt bisher.
Dennoch ist das Chance/Risiko-Verhältnis für neue Long-Positionen eher ungünstig, wenn man plant, die Papiere für einige Wochen oder Monate zu halten. Gleichzeitig haben die jüngsten Entwicklungen aber wieder einmal deutlich gezeigt, wie wichtig langfristige physische Gold- und Silberbestände tatsächlich sind!
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gold oberhalb von 2.030 US-Dollar im Aufwärtstrend liegt und unterhalb von 1.960 US-Dollar im Abwärtstrend. Zwischen diesen beiden Werten ist es schwer, eine eindeutige Tendenz zu erkennen.
© Florian Grummes
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