1. Rückblick
Mit Höchstkursen von 1.998 USD scheiterte der Goldpreis am Ostermontag knapp unterhalb der runden Marke von 2.000 USD. Seitdem bahnte sich im Zuge der Korrektur am gesamten Finanzmarkt auch beim Goldpreis eine brutale Abwärtswelle ihren Weg. Innerhalb von gerade einmal vier Wochen fielen die Goldnotierungen ohne große Gegenwehr von 1.998 USD bis auf 1.787 USD um 10,5%. Seit Wochenbeginn bemüht sich der Goldpreis nun um eine Stabilisierung. Weder die 200-Tagelinie (1.836 USD) noch die wichtige mehrjährige Aufwärtstrendlinie um 1.820 USD konnte allerdings bislang nachhaltig zurückerobert werden.
Insbesondere die Stärke des US-Dollar setzte dem Goldpreis in den letzten Wochen zu. In einem tiefroten Marktumfeld spielte der US-Dollar seine Funktion als „sicherer Hafen“ voll aus und stieg gegen den Euro zuletzt bis auf 1,035. Aber auch hier zeichnet sich seit drei Handelstagen zumindest eine kleine Gegenbewegung ab, die zumindest für eine Stabilisierung bei den Edelmetallen sorgt.
Silber in US-Dollar, Tageschart vom 19. Mai 2022. Quelle: Tradingview
Auffällig ist seit dem 12.Mai zudem die etwas überraschende relative Stärke beim Silber. Der kleine Bruder des Goldes hatte seit dem Februar 2021 keinen leichten Stand und konnte mit der Entwicklung beim Goldpreis nie standhalten. Die nun in Aussicht gestellte allmähliche Lockerung der COVID-Beschränkungen in China scheint die dortige Nachfrage nach industriellen Metallen etwas angekurbelt zu haben, so dass sich die Preise für Silber, Kupfer, und Platin in den letzten Tagen zunächst besser als Gold erholen konnten.
Insgesamt ist die derzeitige Lage an den Finanzmärkten äußerst wackelig und angeschlagen. Trotz der sich zunehmend abzeichnenden Schnäppchen ist man vorerst noch gut beraten auf Sicht zu fahren und primär Liquidität an der Seitenlinie zu halten.
2. Chartanalyse Gold in US-Dollar
2.1. Wochenchart: Erholung in Richtung 1.855 USD
Gold in US-Dollar, Wochenchart vom 19. Mai 2022. Quelle: Tradingview
Auf dem Wochenchart hat der heftige Rücksetzer der letzten Wochen zu einem Wiedersehen mit der langfristigen Aufwärtstrendlinie geführt. Diese Aufwärtstrendlinie hat ihren Ursprung im August 2018 und wurde nun erstmals seit dem Mai 2019 wieder angelaufen und dabei leicht unterschritten. Da der Goldpreis in den letzten dreizehn Monaten zudem meist um die Marke von 1.800 USD hin- und herpendelte, treffen die Bären in diesen Tagen auf eine sehr solide Unterstützung am Goldmarkt. Und auch die Wochenstochastik hat die überverkaufte Zone erreicht. Die Wahrscheinlichkeiten, dass es preislich direkt weiter gen Süden geht, sind dementsprechend eher gering. Eine Bodenbildung inklusive einer ersten überschaubaren Erholungsbewegung haben bessere Chancen.
Trotzdem ist das große charttechnische Bild angeschlagen. Das Doppeltop um 2.075 USD bzw. 2.070 USD könnte durchaus eine noch tiefere deutlich Korrektur eingeleitet haben. Diese dürfte sich aber wenn dann erst mittelfristig entfalten und könnte für Kurse bis in den Bereich um 1.740 USD sorgen.
Können die Bullen die Unterstützung um 1.800 USD jedoch zu einer Erholungsbewegung nützen, wartet auf dem Wochenchart um 1.850 USD eine erste Widerstandszone. Darüber wartet die Abwärtswelle der letzten zweieinhalb Monate im Bereich um 1.900 USD.
Summa summarum ist der Wochenchart noch bärisch. Erste Stabilisierungstendenzen deuten aber an, dass die Marke von 1.800 USD auf Wochenschlusskursbasis vorerst halten wird und der Goldpreis zunächst eine Erholungsbewegung gestartet hat. Allerdings hellt sich das mittelfristige Bild am Goldmarkt erst mit Kursen oberhalb von 1.920 USD wieder deutlich auf.
2.2. Tageschart: Stochastik mit frischem Kaufsignal
Gold in US-Dollar, Tageschart vom 19. April 2022. Quelle: Tradingview
Auf dem Tageschart kam es am vergangenen Freitag zu einem ersten Reversal, welches aber mit dem neuen Tief (1.787 USD) am Montag sofort wieder negiert wurde. Seit diesem neuerlichen Tief konnte der Goldpreis allerdings bislang schon um über 50 USD zulegen und eine erste kleine Serie höherer Tiefs und höherer Hochs generieren. Insbesondere die Stochastik hat sich dabei aus der bärischen Umklammerung gelöst und überzeugt nun mit einem ganz frischen Kaufsignal. Oberhalb der momentan umkämpften 200-Tagelinie (1.838 USD) wäre kurzfristig Platz bis ca. 1.850 USD bis 1.855 USD.
Das aktuelle Marktumfeld kann die Ambitionen der Bullen allerdings jederzeit wieder beenden. Zudem steht der Goldpreis gewöhnlich auf zwei Beinen besser. D.h. selbst wenn sich jetzt eine größere Erholung bis auf ca. 1.900 USD entfalten sollte, müssen wir bis zum Hochsommer mindestens mit einem weiteren Rücksetzer in Richtung von ca. 1.835 USD und etwas tiefer rechnen.
Insgesamt ist der Tageschart auf bullisch gewechselt und eröffnet damit gute Chance für eine Erholung bis auf zumindest 1.855 USD. Im besten Fall sind auch Kurse bis knapp über 1.900 USD denkbar. Sehr viel mehr lässt sich im aktuellen Marktumfeld bis zum Hochsommer aber nicht prognostizieren. Mit einem Tageschlusskurs unterhalb von 1.800 USD hingegen wäre die Erholung bereits wieder beendet und weiteres Abwärtspotential in Richtung von ca. 1.740 USD aktiviert.
3. Terminmarktstruktur Gold
Commitments of Traders Report für den Gold-Future vom 18. Mai 2022. Quelle: Sentimenttrader
Die kumulierte Netto-Shortposition der kommerziellen Marktteilnehmer hat sich aufgrund der deutlichen Korrektur am Goldmarkt deutlich auf „nur noch“ 227.756 leerverkaufte Kontrakte verbessert. Im langfristigen Vergleich liefert diese Konstellation aber noch immer kein antizyklisches Kaufsignal. Bis zu einer idealen antizyklischen Engstelle müsste sich diese Shortposition mindestens nochmal halbieren. Dies wird nur über tiefere Goldkurse möglich sein.
Zusammengefasst liefert der CoT-Report daher ein, wenn auch zunehmend schwächeres, Verkaufssignal. Erst unterhalb von 100.000 leerverkauften Kontrakten wäre der Terminmarkt halbwegs bereinigt. Im August 2018 bspw. waren die kommerziellen Marktteilnehmer erstmals seit 25 Jahre in der Summe sogar „long“ positioniert. In der Folge konnte der Goldpreis damals von 1.160 USD bis auf 2.070 USD innerhalb von zwei Jahren haussieren.
4. Sentiment Gold
Sentiment Optix für Gold vom 18. Mai 2022. Quelle: Sentimenttrader
Die Stimmung an den Finanzmärkten ist ohne Zweifel im Keller. Panik und Aufgabestimmung reichen sich die Klinke. Am Goldmarkt ist das Sentiment auf den tiefsten Stand seit dem August 2021 gefallen. Von einer echten Panik kann man aber (noch) nicht sprechen. Auch hier sei an den August 2018 erinnern, als der Sentiment Optix für Gold mit Werten deutlich unter 20 auf den tiefsten Stand seit 2001 fiel. Aktuell notiert dieser Sentiment Optix mit 48 eher um die neutrale Mitte.
Die Sentiment-Ampel steht also weiterhin auf neutral.
5. Saisonalität Gold
Saisonalität für den Goldpreis über die letzten 54 Jahre. Stand 18. Mai 2022. Quelle: Sentimenttrader
Die saisonale Komponente steht für den Goldpreis weiterhin unter ungünstigen Vorzeichen. Zwar kommt es statistisch betrachtet im Mai häufig zu einer vorübergehenden Erholung bzw. kleinen Rally, nachhaltig waren diese Bewegungen aber äußerst selten. Erst ab Juli bzw. August wechselt die saisonale Komponente wieder auf grün. Bis dahin sind Geduld, Vorsicht und Zurückhaltung angesagt.
Zusammengefasst stehen dem Goldmarkt aus der saisonalen Perspektive wohl noch immer zwei bis drei eher schwierige Monate bevor. Ab Mitte August sollte man jedoch wieder voll positioniert sein.
6. Makro-Update
Deutsche Großhandelspreise 16.Mai 2022, ©Holger Zschaepitz
In Deutschland stiegen die Großhandelspreise im April um 23,8% gegenüber dem Vorjahresmonat. Das ist die höchste jährliche Veränderungsrate seit Beginn der Berechnung der Großhandelspreisindizes im Jahr 1962. Diese Großhandelspreise werden hauptsächlich von den Rohstoffpreisen und den Vorprodukten getrieben.
Finanzielle Bedingungen verschärfen sich, vom 9.Mai 2022.©Sentimentrader
Im Kampf gegen die hohe Inflation will die amerikanische FED ihre extreme und nie gesehene Straffung der Geldpolitik deswegen zunächst fortsetzen. Die Finanzmärkte stehen dadurch bereits seit Monaten weltweit unter gewaltigem Druck, während der US-Dollar Index zuletzt auf den höchsten Stand seit dem Januar 2003 stieg. Die aufgrund der stark gestiegenen Zinsen kollabierende Aktienmärkte sorgen jedoch langsam, aber sicher für eine Zerstörung der Nachfrage. Gleichzeitig liefern die De-Globalisierung als auch das geopolitische Drama in der Ukraine sowie die weiterhin eingeschränkten Lieferketten noch immer inflationären Druck. Der hoffentlich bald endende Lockdown in China hingegen ist hingegen stark deflationär. Vermutlich wird die FED ihr sogenanntes „Quantitative Tightening“ nach dem Juni zumindest pausieren müssen, um die Wirtschaft nicht komplett abzuwürgen.
Im weiteren Jahresverlauf ist also eine neuerliche Kursänderung der FED in „Richtung Quantitative Easing“ zu vermuten. Als Resultat dürften sich die geschundenen Aktienmärkte daher ab dem Frühsommer oder aber spätestens im Herbst deutlich erholen. Für den Edelmetall-Sektor wäre das Ende der geldpolitischen Straffung noch bullischer. Bis es allerdings so weit ist, dürfte es grundsätzlich gefährlich und ungemütlich an den Finanzmärkten bleiben. Trotzdem sollte der Goldpreis als einer der ersten den geldpolitischen Wechsel in den kommenden Monaten einzupreisen beginnen.
7. Fazit: Gold – Erste Stabilisierungstendenzen
Am Goldmarkt sind aktuell erste Stabilisierungstendenzen zu erkennen, die durchaus zu einer etwas größere Erholung führen könnten. Allerdings bleibt die Saisonalität bis zum Juli/August ungünstig, so dass wir momentan nicht von einer nachhaltigen Erholungsrally ausgehen. Kurse um 1.855 USD erscheinen realistisch, Preisanstiege bis auf ca. 1.900 USD hingegen sehr optimistisch. Auch die Wahrscheinlichkeit einer lediglich zwischengeschalteten Erholung innerhalb der größeren Korrektur ist angesichts der schwierigen Lage an den Finanzmärkten hoch. Dieses bärische Szenario wird mit einem Tageschlusskurs unterhalb von 1.800 USD aktiviert.
Insgesamt dürfte sich eine übertrieben bullische Erwartungshaltung zumindest bis zum Hochsommer nicht auszahlen. Ab August wäre jedoch der Beginn einer neuen mehrmonatigen Aufwärtswelle im Edelmetallsektor gut denkbar.
Florian Grummes
Edelmetall- und Krypto-Experte