Anfang September notierte der Silberpreis noch im Bereich von 42 US-Dollar je Feinunze. Heute, also nur rund sechs Wochen später, blicken wir auf einen Silberpreis zurück, der um mehr als 20 Prozent angestiegen ist und der zwischenzeitlich auch die alten Hochs aus den Jahren 1980 und 2011 überboten hat. Zwar liegt das neue Allzeithoch von 51,23 US-Dollar, das am Nachmittag des 9. Oktober ausgebildet wurde, nur wenig über den alten Rekordständen, doch die Botschaft, die der Silbermarkt in diesen Wochen sendet, ist eindeutig: Es ist sehr viel Druck auf dem Kessel.
Deutlich wird dieser enorme Druck besonders dann, wenn man nicht nur auf den Silberpreis selbst schaut, sondern auch auf andere Anzeichen in seinem direkten Umfeld achtet. Einer dieser Indikatoren sind die Leasingraten, die an den großen Metallbörsen bezahlt werden müssen, wenn man sich dort kurzfristig Metalle – in diesem Fall Silber – leihen möchte.
Steigen diese Leasingraten unvermittelt an, ist dies meist ein klares Indiz dafür, dass eine starke physische Nachfrage nach einem bestimmten Rohstoff besteht. Sie wird aus den vorhandenen Lagern bedient und brachte dem Verleiher in der Vergangenheit einen kleinen Gewinn, der ein wenig dazu beitrug, die Kosten für die Lagerhaltung zu refinanzieren. Ein solches Leihgeschäft, das in der Regel nur Erlöse im niedrigen einstelligen Prozentbereich ergab, ging der Verleiher allerdings nur dann ein, wenn er sich ziemlich sicher war, dass er den verliehenen Rohstoff auch wiederbekommen würde.
Physische Silberauslieferungen: Die Gewissheit ist der Angst gewichen
Von dieser Gewissheit ist am Silbermarkt derzeit allerdings nicht viel zu spüren, denn wie Bruce Ikemizu, Chief Director der Japan Bullion Market Association (JBMA), am Abend des 9. Oktober bestätigte, ist die implizite Leasingrate für physisches Silber in London auf atemberaubende 39,2 Prozent angestiegen. Sie gilt für Silber, dass einen Monat nach der Ausleihe wieder zurückgegeben werden muss.
Der Anstieg ist nicht nur enorm. Er signalisiert auch eine massive Verknappung des aktuell zur Verfügung stehenden physischen Angebots. Zu berücksichtigen ist an dieser Stelle, dass die Masse des in London und an der Comex in den Vereinigten Staaten gehandelten Silbers reines Papiersilber ist. Dieses Silber ist nicht physisch vorhanden, sondern „besteht“ nur in Form eines Lieferversprechens und von diesem weiß niemand so genau, ob es jemals eingelöst werden muss und ob es eingelöst werden kann, wenn es denn eingefordert wird.
Bislang war es so, dass die Masse der gehandelten Kontrakte nicht physisch geliefert, sondern per Barausgleich abgewickelt wurde. Es wurde also nicht physisches Silber geliefert, sondern mit Geld bezahlt. Aktuell drängen allerdings immer mehr Käufer auf eine physische Lieferung des durch den Kontrakt zugesicherten Silbers. Damit werden die Regeln, nach denen an den westlichen Metallbörsen gespielt wird, deutlich verändert. Anders ist die Situation an der Metallbörse in Shanghai, denn hier ist jede gehandelte Unze, egal, ob Gold oder Silber, mit dem physischen Edelmetall hinterlegt.
Der Konflikt zwischen Fiktion und Realität droht aufzubrechen
Damit spitzt sich die Situation an den westlichen Metallbörsen dramatisch zu. Die Lager sind leer und die Halter von physischem Silber sind kaum noch gewillt, ihr Silber kurzfristig zu verleihen. Nicht einmal für einen Monat. Wäre es anders, läge die Leasingrate aktuell deutlich niedriger als 39,2 Prozent.
Selbst wenn die Silber-Leasingraten in den nächsten Tagen kurzfristig wieder um einige Prozentpunkte zurückgehen sollten, bleibt dennoch das Gefühl einer tiefen Verunsicherung der Silberkäufer. Handelt es sich bei ihnen nicht nur um Spekulanten, die sich ihre Gewinne gerne durch Gutschriften auf ihre Konten auszahlen lassen, sondern um Nachfrager aus der Industrie, die das versprochene Silber unbedingt benötigten, um mittelfristig ihre Produktion aufrechterhalten zu können, dürfte das bisherige System eines Barausgleichs schon bald nicht mehr funktionieren.
Viele Verkäufer an den Terminmärkten, die selbst keine Silberproduzenten sind und nicht über echtes physisch vorhandenes Silber verfügen, sondern Silber verkaufen, das nur auf dem Papier existiert ist, dürften bei dieser Entwicklung langsam aber sicher ins Schwitzen kommen. Wie stark die einzelnen Marktteilnehmer bereits in Schieflage sind, ist nur schwer abzuschätzen. Die hohen Leasingraten deuten jedoch an, dass in manchen Büros nicht mehr nur stark geschwitzt wird, sondern der Gemütszustand langsam aber sicher in Panik umzuschlagen scheint.
Geht es den Leerverkäufern bald an den Kragen?
Über Jahre hinweg war der Silbermarkt die bevorzugte Spielwiese der Leerverkäufer. Er war klein und ließ sich von den hoch kapitalisierten Marktteilnehmern entsprechend leicht beeinflussen. Von dieser Möglichkeit wurde ausgiebig Gebrauch gemacht. Heute kursieren deshalb an den westlichen Metallbörsen Lieferversprechen für Silber, die so groß sind, dass sie die Weltjahresproduktion aller Silberproduzenten für etwa fünf Jahre abdecken.
China, immerhin der zweitgrößte Silberproduzent nach Mexiko, hat bereits den Export von Silber eingestellt. Man verzichtet im Reich der Mitte lieber auf kurzfristig hohe Einnahmen und legt stattdessen große Silberlager an, um die Produktionsfähigkeit der eigenen Industrie mittelfristig zu sichern. Im Westen wurde dank der Just-in-time-Ideologie der Betriebswirtschaft und verführt durch die jahrelang äußerst niedrigen Silberpreise ein vollkommen anderer Weg eingeschlagen.
Er war geprägt von sehr viel Wunschdenken und lebte faktisch von der Hoffnung, dass man im Notfall immer genügend Silber zur Verfügung haben werde. Dass dem nicht so ist, wird nun immer klarer und Brancheninsider sprechen bereits offen über die Möglichkeit von Liefer- und Zahlungsausfällen. Die westliche Industrie steht damit an einem Punkt, an dem sie entweder aufwachen oder über kurz oder lang dazu übergehen muss, Papiersilber in ihre Produkte einzubauen.
