Silber setzt seinen Höhenflug fort und hat sich seit dem Sommer deutlich über der Marke von 48 US-Dollar je Unze etabliert. Auf Jahressicht entspricht das einem Plus von rund 67 %. Gold nähert sich derweil der Marke von 4.000 US-Dollar je Unze und liegt seit Jahresbeginn etwa 50 % im Plus. Begleitet wird die Entwicklung von einer sinkenden Gold/Silber-Ratio, die aktuell um 81 liegt und damit unter dem Fünfjahresschnitt – ein Zeichen dafür, dass Silber Gold zuletzt übertroffen hat. Parallel wächst jedoch die Debatte, inwieweit höhere Preise die Industrienachfrage beeinflussen könnten.
Silber im Momentum – doch das Verhältnis zu Gold sendet Signale
Die Dynamik am Edelmetallmarkt wird derzeit maßgeblich von Silber geprägt. Das Weißmetall profitiert sowohl von der Investmentseite – etwa über Futures und ETFs – als auch von strukturellen Trends in der Realwirtschaft. Gleichzeitig zeigt die Gold/Silber-Ratio, wie stark Silber in den vergangenen Monaten aufgeholt hat: Ein niedrigerer Wert deutet historisch darauf hin, dass Silber im Vergleich zu Gold an relativer Stärke gewinnt.
Marktbeobachter weisen dennoch auf potenzielle Bremsfaktoren hin. Die britische Analysefirma Metals Focus erwartet etwa, dass anhaltend hohe Preise Unternehmen dazu veranlassen könnten, in industriellen Anwendungen den Silber-Einsatz zu verringern („Thrifting“). Dieser Prozess ist in rohstoffintensiven Branchen nicht neu: In Phasen hoher Preise werden Materialien effizienter genutzt, ersetzt oder Technologien angepasst, um Kosten zu dämpfen. Für Anleger bedeutet das: Neben der Preisentwicklung rücken die Volumenströme in der Industrie stärker in den Blick.
Solarindustrie als Gradmesser der Silber-Nachfrage
Besonders aufmerksam verfolgt wird die Photovoltaik (PV), eine der größten Nachfragequellen für Silber. Das Metall ist ein wesentlicher Bestandteil in PV-Leitpasten, die die elektrische Leitfähigkeit der Zellen sicherstellen. Laut dem vom Silver Institute veröffentlichten World Silver Survey, den Metals Focus zusammenstellt, dürfte der Solarsektor in diesem Jahr rund 195,7 Mio. Unzen Silber verbrauchen – ein leichter Rückgang um etwa 1 % gegenüber dem Rekordjahr 2024.
Metals Focus betont, dass PV-Hersteller den Silber-Einsatz je Watt schon vor der jüngsten Preisrally schrittweise gesenkt haben. Der Anstieg der Notierungen habe diesen Trend noch beschleunigt und die Suche nach „Durchbruch-Strategien“ zur Kostenreduktion intensiviert. Technologische Weiterentwicklungen – etwa veränderte Zellarchitekturen, verbesserte Pastenformulierungen oder potenzielle Substitutionen – könnten den Silber-Bedarf je Watt 2025 um rund 15–20 % verringern. Auch vollständige Ersatzlösungen stehen in der Diskussion, sind aber noch nicht im industriellen Maßstab etabliert.
Gleichzeitig ist der Sektor weiter auf Wachstumskurs. In den USA entfielen im ersten Halbjahr 2025 rund 82 % der neu hinzugekommenen Stromerzeugungskapazität auf Solarenergie und Energiespeicher. Aus Branchensicht entsteht damit ein Spannungsfeld: Während der Verbrauch je Einheit sinkt, weitet die Gesamtleistung der installierten Systeme die Basis aus, auf der Silber nachgefragt wird.
Angebotsdefizit bleibt das beherrschende Thema
Trotz möglicher Anpassungen in der Industrie sieht Metals Focus den übergeordneten Markttrend intakt. Entscheidend sei das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Für das laufende Jahr wird ein Defizit von etwa 187,6 Mio. Unzen prognostiziert – das drittgrößte Minus in der Statistik. In einem Gespräch im vergangenen Monat machte Philip Newman, Managing Director bei Metals Focus, deutlich, dass die Industrienachfrage spürbar nachlassen müsste, um dieses Defizit wesentlich zu verringern.
Metals Focus rechnet damit, dass die Investmentnachfrage in einem Umfeld steigender Preise weiter an Bedeutung gewinnt und Silber über einen längeren Zeitraum hinweg Defizite aufweisen könnte. Zwar führen höhere Notierungen in der Regel zu Thrifting-Effekten, doch bisher zeichne sich kein Einbruch ab, der das Gesamtbild grundlegend verändern würde. Auch kurzfristige Volatilität – etwa durch Nachrichten aus der Solarbranche, makroökonomische Daten oder Bewegungen am US-Dollar – ändere nichts daran, dass die physische Knappheit ein zentraler Preistreiber bleibt.
Für die kommenden Monate ergibt sich damit ein mehrschichtiges Szenario für Silber. Auf der Nachfrageseite stehen sich zwei Kräfte gegenüber: Erstens die wachsende Rolle industrieller Anwendungen – neben Photovoltaik auch Elektronik, E-Mobilität und Medizintechnik – und zweitens Effizienzsteigerungen, die den Materialeinsatz je Einheit reduzieren. Wie stark dieses „Sparen am Gramm“ den Gesamtverbrauch dämpft, hängt von der Geschwindigkeit technologischer Umstellungen und dem Tempo des globalen Ausbaus von Solar- und Speicheranlagen ab.
Auf der Angebotsseite bleibt die Frage, inwieweit Minenproduktion, Recyclingströme und Projektpipeline auf die Preisimpulse reagieren. Historisch benötigen neue Kapazitäten Vorlaufzeiten, während Recyclingmengen von der Preishöhe, aber auch von Sammel- und Aufbereitungsquoten abhängen. Solange das strukturelle Defizit bestehen bleibt, ist der Markt sensibel für Nachrichten, die die Balance auch nur graduell verschieben.
Für Marktteilnehmer heißt das: Silber bleibt nicht nur ein klassisches Edelmetall-Investment, sondern zugleich ein Industriematerial, dessen Preisentwicklung maßgeblich von realwirtschaftlichen Trends geprägt wird. Die aktuelle Rallye gen 50 US-Dollar je Unze unterstreicht diese Doppelrolle. Ob der Aufwärtstrend Bestand hat, dürfte sich an drei Faktoren entscheiden: der tatsächlichen Geschwindigkeit des Thrifts in Schlüsselbranchen, dem Ausbau von Solar- und Speicherprojekten weltweit sowie der Entwicklung des Angebots – insbesondere mit Blick auf das prognostizierte Defizit.
Unabhängig davon, ob kurzfristige Rücksetzer auftreten: Die Kombination aus strukturellem Nachfragetreiber Photovoltaik, potenziellen Effizienzgewinnen und einem knappen Marktumfeld sorgt dafür, dass Silber in der zweiten Jahreshälfte 2025 im Fokus bleibt. Für Beobachter des Rohstoffsektors wird es entscheidend sein, nicht nur Preismarken zu verfolgen, sondern auch die Kennziffern hinter den Schlagzeilen: Verbrauch je Watt, Neuinstallationen im Energiesektor, Recyclingquoten und die Entwicklung der Gold/Silber-Ratio. Diese Indikatoren geben Hinweise darauf, wie belastbar die jüngste Preisbewegung bei Silber tatsächlich ist – und wo mögliche Quellen für Volatilität liegen.