Die Finanzmärkte reagierten mit spürbarer Erleichterung auf die jüngste Ankündigung eines temporären Handelsabkommens zwischen den USA und China. Während Gold, der traditionelle sichere Hafen, unmittelbar nach der Nachricht einen deutlichen Rücksetzer erlebte, zeigte Silber eine bemerkenswerte, teils davon abweichende Kursentwicklung. Diese unterschiedliche Reaktion wirft ein Schlaglicht auf die komplexe Natur des Silbermarktes, der sowohl von monetären als auch von industriellen Faktoren beeinflusst wird, und rückt die Gold-Silber-Ratio erneut in den Fokus der Anleger.
Das US-China-Abkommen und seine unmittelbaren Marktauswirkungen
Die Vereinbarung, die eine Reduzierung der US-Zölle auf chinesische Importe von 145% auf 30% und der chinesischen Zölle auf US-Waren von 125% auf 10% für einen Zeitraum von 90 Tagen vorsieht, löste eine unmittelbare „Risk-on“-Stimmung an den globalen Märkten aus. Investoren schichteten Kapital von als sicher geltenden Anlagen wie Gold in risikoreichere Aktien um. Der Dow Jones Industrial Average verzeichnete einen Anstieg um 400 Punkte, und der Nasdaq legte um 4% zu, was das neu gewonnene Vertrauen in die Stabilität des Welthandels widerspiegelt.
Goldpreise fielen infolgedessen um rund 100 US-Dollar oder 3%. Gleichzeitig wertete der US-Dollar-Index (DXY) um 1,16% auf 101,76 Punkte auf, den höchsten Stand seit über einem Monat. Ein stärkerer Dollar verteuert typischerweise Gold für Investoren außerhalb des Dollarraums und dämpft so die Nachfrage. Die technische Analyse zeigte zudem, dass die Gold-Futures wichtige Unterstützungsniveaus durchbrachen, was auf eine kurzfristig bärische Dynamik hindeutete.
Silbers überraschende Widerstandsfähigkeit
Im Gegensatz zu Gold fiel der Silberpreis nur geringfügig um 0,37% auf 32,87 US-Dollar pro Unze. Diese relative Stärke führte zu einer Verengung der Gold-Silber-Ratio auf 99,33:1. Die divergierende Entwicklung unterstreicht die Doppelrolle von Silber: Es ist nicht nur ein monetäres Metall, sondern auch ein wichtiger Industrierohstoff. Die Aussicht auf reduzierte Handelsbarrieren nährte die Erwartung einer steigenden industriellen Nachfrage, insbesondere aus Sektoren wie Elektronik und Solarenergie, die rund 60% des jährlichen Silberverbrauchs ausmachen.
Die Lockerung der Zölle verbessert die Effizienz der Lieferketten für silberabhängige Industrien. Analysten prognostizieren für 2025 ein Wachstum der industriellen Silbernachfrage um 8%. Die hervorragende Leitfähigkeit und die antibakteriellen Eigenschaften von Silber machen es unverzichtbar für den Ausbau der 5G-Infrastruktur und für medizinische Geräte – Sektoren, die von den entspannten Handelsbeziehungen zwischen den USA und China profitieren dürften. Die London Bullion Market Association (LBMA) rechnet bis 2026 mit einem Angebotsdefizit von 500 Tonnen Silber, getrieben durch den Ausbau grüner Energien, was langfristig preisstützend wirken könnte, trotz kurzfristiger Volatilität.
Aus technischer Sicht konnte Silber seine Unterstützung bei 32,50 US-Dollar verteidigen, ein Niveau, das im ersten Quartal 2025 bereits zweimal getestet wurde. Seit Ende 2024 notiert Silber stabil über 30 US-Dollar, gestützt durch Diversifizierungsstrategien von Zentralbanken und Zuflüsse von Privatanlegern.
Die Gold-Silber-Ratio im Fokus
Das Absinken der Gold-Silber-Ratio unter die Marke von 100:1 stellt eine deutliche Veränderung gegenüber dem Durchschnitt von 110:1 im Jahr 2024 dar. Historisch betrachtet lag die Ratio im Zeitraum von 1900 bis 2020 im Durchschnitt bei etwa 60:1, was Raum für einen weiteren Rückgang zugunsten von Silber nahelegt. Die industriellen Anwendungen von Silber positionieren es günstig, um in einem Szenario der Handelsnormalisierung besser als Gold abzuschneiden. Dies zeigte sich bereits in den Jahren 2010-2011, als die Ratio während der quantitativen Lockerung von 65:1 auf 32:1 fiel.
Die duale Nachfragestruktur von Silber – sowohl als Edelmetall als auch als Industriemetall – schafft eine eigene Marktdynamik, die in Phasen wirtschaftlichen Optimismus zu einer Outperformance führen kann. Eine sich verengende Ratio spricht tendenziell für ein stärkeres Engagement in Silber. So verzeichnete der iShares Silver Trust (SLV) im ersten Quartal 2025 Zuflüsse von 1,2 Milliarden US-Dollar, während der SPDR Gold Trust (GLD) Abflüsse von 800 Millionen US-Dollar hinnehmen musste.
Ausblick: Welche Faktoren beeinflussen die weitere Entwicklung?
Die weitere Entwicklung der Edelmetallpreise wird maßgeblich von den kommenden Wirtschaftsdaten und den geldpolitischen Entscheidungen der Zentralbanken abhängen. Die heute, am 13. Mai 2025, erwartete Veröffentlichung der US-Verbraucherpreisdaten (CPI) wird genau beobachtet. Ein erwarteter Rückgang der jährlichen Inflationsrate könnte die Federal Reserve in ihrer dovishen Haltung bestärken und somit nicht-zinsbringende Anlagen wie Gold und Silber stützen. Auch die Einzelhandelsumsätze und die Rede von Fed-Chef Powell auf dem Symposium in Jackson Hole im August werden wichtige Indikationen liefern.
Darüber hinaus könnten potenzielle Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) im Juni 2025 den Euro schwächen und im Gegenzug den Dollar stärken, was wiederum Druck auf die Edelmetallpreise ausüben könnte. Chinas prognostiziertes BIP-Wachstum von 4,9% stützt hingegen die Nachfrage nach Industriemetallen und somit auch Silber.
Fazit für Anleger
Das jüngste Handelsabkommen zwischen den USA und China hat die unterschiedlichen Treiber für Gold und Silber deutlich gemacht. Während Gold als klassischer sicherer Hafen bei zunehmender Risikobereitschaft unter Druck geriet, profitierte Silber von den verbesserten Aussichten für die industrielle Nachfrage. Die Verschiebung der Gold-Silber-Ratio deutet auf eine relative Stärke von Silber hin. Anleger sollten die weitere Entwicklung der Handelsbeziehungen, die globalen Konjunkturdaten und die Geldpolitik der Zentralbanken genau im Auge behalten, um die Chancen und Risiken im Edelmetallsektor richtig einschätzen zu können. Die duale Natur von Silber als Investment- und Industriemetall könnte in einem Umfeld der wirtschaftlichen Erholung und des technologischen Fortschritts weiterhin für interessante Investmentmöglichkeiten sorgen.