Die am 21. Oktober gestartete Korrektur hat nicht nur die Preise für Gold und Silber abstürzen lassen. Auch die Aktien der Gold- und Silberproduzenten und die der Minenentwickler verzeichneten massive Kursverluste. Blickt man allein auf die Höhe der prozentualen Verluste, kann sich leicht der Eindruck einstellen, dass die Anleger diesen Sektor wie eine heiße Kartoffel fallengelassen haben.
Taucht man jedoch tiefer in die Materie ein, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Eine der Personen, die diesen tieferen Einblick haben und ihre Erkenntnisse in Interviews auch offenlegen ist Danielle DiMartino Booth. Sie war zwischen 2006 bis 2015 als Beraterin des ehemaligen Präsidenten der FED von Dallas, Richard Fisher, tätig und warnt vor tiefer liegenden Spannungen im System.
Während große US-Aktienindizes wie der S&P 500 knapp unter ihren Allzeithochs notieren und die Stimmung am Aktienmarkt weiterhin ausgezeichnet ist, senden die Anleihen- und Rohstoffmärkte gerade ein ganz anderes Bild. Die hinter dieser ungewöhnlichen Diskrepanz aufscheinenden Spannungen interpretiert Danielle DiMartino Booth als Zeichen einer systemischen Liquiditätskrise. Sie kann die US-Notenbank dazu zwingen, ihren Kampf gegen die Inflation aufzugeben.
Erinnerungen an den März 2020 werden wach
Wenn dies geschehen sollte, so geschieht dies nicht, weil der Kampf gegen die Inflation gewonnen wäre, sondern weil das Finanzsystem selbst zusammenzubrechen droht. „Es sieht ganz so aus, als würde dem System die Liquidität ausgehen und dass die FED gezwungen sein wird, sich zurückzuziehen“, sagte Booth, die heute CEO von QI Research, einem makroökonomischen Beratungsunternehmen, ist, in einem Interview mit Kitco News.
Konkret erwartet sie, dass die Federal Reserve Bank ihre derzeitige Politik der „quantitativen Straffung“ beenden und wieder zu einer deutlich lockereren Geldpolitik übergehen wird. Mit dem laufenden Straffungsprogramm wird dem Finanzsystem Liquidität entzogen, indem jeden Monat bis zu 95 Milliarden US-Dollar an Schatzanweisungen und hypothekenbesicherten Wertpapieren aus der FED-Bilanz genommen werden.
Die aktuelle Situation erinnert sie sehr stark an den März 2020. Das war der Moment, indem dem Finanzmarkt bewusst wurde, dass die aufkommende Corona-Krise gravierender sein wird als es die Marktteilnehmer zunächst angenommen hatten. Damals kam es ebenfalls zu einer „Flucht ins Bargeld“, die alle Märkte erfasste und nicht nur auf einzelne begrenzt war.
Werden Gold und Silber heute vor allem deshalb so massiv verkauft, weil sie so gut gelaufen sind?
Viele Anleger erhielten damals von ihrem Broker einen der gefürchteten Margin-Calls. Mit geliehenem Geld aufgebaute Positionen wurden daher umgehend verkauft und als erstes warfen die Anleger ausgerechnet jene Papiere aus ihrem Depot, die zuvor besonders gut gelaufen waren. An dieser Stelle ergibt sich eine auffällige Parallele zu den aktuellen Vorgängen beim Gold und beim Silber.
Beide Edelmetalle blicken auf eine sehr erfolgreiche jüngste Börsengeschichte zurück und wurden in dieser Woche dennoch mit einer Wucht aus den Depots gefegt, als drohe der nahende Weltuntergang. „Ich denke, das ist es, was wir gerade erleben. Ich denke, wir erleben eine Wiederholung dessen, was wir im März 2020 gesehen haben”, erklärte Danielle DiMartino Booth gegenüber Kitco News. „Wenn Anleger Margin Calls erhalten und Liquidität zum Problem wird, neigen sie dazu, ihre Gewinner zu verkaufen.”
Die daraus resultierende Volatilität sei kein gutes Zeichen für den Vermögenswert, warnte sie. „Man möchte niemals sehen, dass sich Gold wie eine Meme-Aktie verhält”. Doch Ansätze einer solchen Bewegung waren in den letzten Tagen beim Gold und Silber und bei den Aktien der Gold- und Silberminen zu beobachten. Buchgewinne im Rohstoffsektor wurden realisiert, um kurzfristig Liquidität zu beschaffen.
Die „Kakerlaken“ auf dem Kreditmarkt geben Anlass zur Sorge
Danielle DiMartino Booth ist derzeit nicht die einzige warnende Stimme, die an den Finanzmärkten zu vernehmen ist. Auch Andrew Bailey, der Gouverneur der Bank of England, sagte kürzlich vor dem britischen Parlament aus und zog eine direkte Parallele zwischen den jüngsten Zusammenbrüchen im US-Privatkreditmarkt und der Subprime-Krise von 2007.
Daneben haben auch Finanzstabilitätsberichte sowohl der FED als auch des Internationalen Währungsfonds (IWF) das schnelle Wachstum dieses undurchsichtigen Marktes als potenzielles systemisches Risiko hervorgehoben. In die gleiche Kerbe schlug Jamie Dimon, der CEO von JP Morgan Chase, der davon sprach, dass immer mehr „Kakerlaken“ im Finanzsystem zu finden seien. Mit „Kakerlaken“ sind an dieser Stelle Kredite im privaten Sektor gemeint, die zu leichtfertig vergeben worden sind.
Wie in den Jahren unmittelbar vor dem Platzen der Subprime-Blase ist dieser Sektor auch jetzt wieder explosionsartig auf ein Volumen von über 1,7 Billionen Dollar angewachsen. Da der Bereich weniger stark reguliert ist als das traditionelle Bankwesen, lauert hier ein erhebliches systemisches Risiko aus zu laxen Kreditvergabestandards und zu hohen Kreditsummen, die vor allem während der Ära der Null- und Negativzinsen vergeben wurden.
Keine Einzelfälle, sondern ein tiefgreifendes systemisches Risiko
Danielle DiMartino Booth glaubt nicht, dass es sich hierbei um Einzelfälle handelt, sondern dass das Problem systemisch ist. Sie verweist darauf, dass sich die Schulden der US-Haushalte nach den neuesten Daten der New Yorker FED inzwischen auf den Rekordwert von 18,4 Billionen Dollar belaufen. Besonders beängstigend ist dabei, dass die Zahlungsrückstände bei Kreditkarten und Autokrediten über das Niveau vor der Pandemie angestiegen sind.
Der Markt erscheint stabil und wird von Optimismus getragen, doch die Daten, die der FED vorliegen, zeigen unzweifelhaft, dass die US-Verbraucher unter starkem Druck stehen. Jüngste Berichte von Vanguard und Empower beispielsweise weisen darauf hin, dass die Härtefallentnahmen aus 401(k)-Plänen für die private Altersvorsorge den höchsten Stand seit zwei Jahren angestiegen sind. Ein Grund für diesen Anstieg war die kürzlich erfolgte Wiederaufnahme der Rückzahlung von Studentenkrediten.
Gleichzeitig entwickelt sich die US-Wirtschaft schwächer als allgemein angenommen wird und als es die Daten der FED auf den ersten Blick erkennen lassen. Was noch fehlt, ist ein allgemeines Warnsignal, das der Markt nicht überhören kann. Ein solches könnte vom Markt für Collateralized Loan Obligations (CLO) gesendet werden, wenn hier die Spreads für besicherte Kreditverpflichtungen zu steigen beginnen. Ein solches Signal würde bedeuten, dass Probleme im privaten Kreditsektor beginnen, auf den öffentlichen Bereich überzugreifen.
Risikoreichere Tranchen mit niedrigerer Bewertung zeigen hier bereits erste Anzeichen von Stress. Greift diese Entwicklung auch auf die mit weniger Risiko behafteten Teile über, wird der Finanzmarkt dieses Signal nicht ignorieren können, denn es zeigt an, dass die Angst vor Zahlungsausfällen und einem allgemeinen Vertrauensverlust stark zugenommen hat.