Der Goldpreis hat die Marke von 3.900 US-Dollar je Feinunze durchbrochen – doch trotz der rasanten Rallye fehlen aus Sicht vieler Marktbeobachter klare Argumente für eine größere Korrektur. Das gelbe Metall hat seit Jahresbeginn jetzt um fast 50% zugelegt und damit den stärksten jährlichen Anstieg seit 1979 verbucht. Neben bekannten Stützfaktoren wie hoher Staatsverschuldung, hartnäckiger Inflationserwartungen und geopolitischer Unsicherheiten kommt nun eine weitere Komponente hinzu: der anhaltende Stillstand der Regierung in Washington.
Politischer Stillstand in Washington stützt Gold
Das Ausbleiben einer fristgerechten Einigung im US-Kongress über neue Haushaltsmittel hat einen teilweisen Regierungsstillstand ausgelöst – ein Signal politischer Unsicherheit, das Gold traditionell begünstigt. In den ersten Tagen sind die unmittelbaren wirtschaftlichen Effekte zwar überschaubar, doch je länger der Shutdown andauert, desto spürbarer könnten die Folgen werden. Erste Schätzungen beziffern den potenziellen Produktionsausfall auf rund 7 Mrd. US-Dollar pro Woche; eine vom Council of Economic Advisers erarbeitete und von Politico aufgegriffene Einschätzung stellt sogar bis zu 15 Mrd. US-Dollar wöchentlich in den Raum.
Wettplattformen kalkulieren derzeit mit einer Dauer des Shutdowns von etwa elf Tagen. Gleichwohl wäre selbst ein schneller Kompromiss nicht zwangsläufig geeignet, den entstandenen Reputationsschaden vollständig zu beheben. Vor dem Hintergrund von Zöllen und handelspolitischen Spannungen steht die Glaubwürdigkeit der USA besonders im Fokus – ein Umfeld, in dem Gold als Wertaufbewahrungsmittel zusätzliche Aufmerksamkeit gewinnt.

Flucht aus dem US-Dollar und die „Debasement-Trade“-These
Parallel zum politischen Risiko hat sich die Diskussion um die mittelfristige Kaufkraft des US-Dollars intensiviert. Im vergangenen Monat war eine deutliche Umschichtung aus dem US-Dollar in Gold zu beobachten. Analysten von JPMorgan sprechen in einer aktuellen Notiz vom „Debasement Trade“: Privatanleger hätten begonnen, an der Stabilität von Fiat-Währungen zu zweifeln und sich angesichts hoher Haushaltsdefizite in führenden Volkswirtschaften gegen eine schleichende Entwertung abzusichern.
Zentralbanken gehen diesen Weg bereits seit einigen Jahren, indem sie ihre Reserven breiter diversifizieren und Gold-Bestände ausbauen. Neu ist, dass sich die Dynamik laut JPMorgan zunehmend in den Retail-Bereich verlagert. Dies verleiet der Rallye eine zusätzliche Nachfragekomponente jenseits von Terminmärkten und Notenbankkäufen. Für den Goldpreis bedeutet das: Neben klassischen Krisen- und Inflationsmotiven rückt nun auch der Vertrauensaspekt gegenüber Papierwährungen deutlicher in den Vordergrund.
ETF-Daten unterstreichen die Nachfrage nach Gold
Ein Blick auf die Fondsebene stützt dieses Bild. Der weltweit größte physisch hinterlegte Gold-ETF, SPDR Gold Shares (NYSE: GLD), verzeichnete im September laut Analysten Rekordzuflüsse. Demzufolge stiegen die von GLD gehaltenen Bestände im Monatsverlauf um 35,2 Tonnen. Allein am 19. September flossen dem Fonds 18,9 Tonnen zu – der höchste Tageszuwachs seit Bestehen.
Bemerkenswert: Trotz des außergewöhnlich starken Septembers liegen die globalen Bestände in Gold-ETFs weiterhin unter den Höchstständen des Jahres 2020. Das signalisiert, dass der Markt – trotz der jüngsten Rally – strukturell noch Spielraum bei der Investitionsquote hat. Gleichwohl bleibt die Entwicklung abhängig von externen Faktoren: der weiteren Ausgestaltung der US-Haushaltspolitik, der Inflationsentwicklung sowie der Zins- und Liquiditätslage an den Anleihe- und Devisenmärkten. Für Gold als Anlageklasse bleibt die Interaktion dieser Faktoren zentral.
Was ist jetzt entscheidend?
Aus Marktsicht ist entscheidend, ob der Shutdown rasch beendet wird oder sich in die Länge zieht. Eine kurze Unterbrechung könnte die konjunkturellen Folgewirkungen begrenzen, die Stimmung aber dennoch gedämpft lassen. Ein verlängerter Stillstand birgt das Risiko, dass die Unsicherheit im Finanzsystem zunimmt und sich Risikoaufschläge ausweiten – ein Umfeld, in dem Gold häufig als Absicherungsinstrument dient. Parallel dazu bleibt die Frage, wie dauerhaft die beobachtete Umschichtung aus dem US-Dollar ist und ob sich der „Debasement-Trade“ zu einem breiteren Trend verfestigt.
Technisch betrachtet ist der Sprung über 3.900 US-Dollar je Feinunze ein starkes Signal, doch die jüngste Volatilität erinnert daran, dass Gold weiterhin sensibel auf Nachrichtenlage, Zins- und Währungsbewegungen reagiert. Marktteilnehmer werden deshalb neben den politischen Entwicklungen in Washington auch Daten zum Arbeitsmarkt, zur Inflation und zu den Renditen am US-Anleihemarkt genau verfolgen.
Für Unternehmen entlang der Gold-Wertschöpfungskette – von Minengesellschaften über Royalties bis zu Verarbeitern – ist die Preisentwicklung ein maßgeblicher Referenzpunkt. Gleiches gilt für börsengehandelte Produkte wie GLD oder andere Gold-ETFs, die als Indikator für die Kapitalströme institutioneller und privater Anleger dienen. Dass die globalen ETF-Bestände noch unter dem Niveau von 2020 liegen, liefert zusätzlichen Kontext für die aktuelle Marktphase: Der Anstieg des Goldpreises wurde bislang nicht ausschließlich von passiven Zuflüssen getragen, sondern reflektiert ein breiteres Set an Nachfragetreibern.
Fazit: Die Kombination aus politischer Unsicherheit, wachsender Skepsis gegenüber Fiat-Währungen und messbaren Zuflüssen in goldgedeckte Produkte prägt das aktuelle Umfeld. Wie nachhaltig diese Faktoren wirken, hängt wesentlich von der Dauer des US-Regierungsstillstands, der künftigen Haushalts- und Geldpolitik der USA sowie der globalen Konjunkturlage ab. Gold bleibt damit im Zentrum der makroökonomischen Debatte – als Barometer für Vertrauen, Geldwertstabilität und Risikoappetit.