Der Goldpreis hat die psychologisch wichtige Marke von 4.000 US-Dollar je Unze zunächst klar überwunden – konnte diese im gestrigen Handel allerdings nicht halten. Allerdings ist das gelbe Metall nach dem Ausbruch im August auch in nur zwei Monaten um rund 670 US-Dollar je Unze gestiegen, was einem Plus von mehr als 20% entspricht. Zwischenzeitlich lag Gold damit seit Jahresbeginn sogar mehr als 50% vorne. Diese Dynamik zieht weitere Investoren an – erhöht aber zugleich das Risiko kurzfristiger Gewinnmitnahmen, wie Analysten anmerken.
Gold: starke Rally seit August, kurzfristige Risiken nehmen zu
TD Securities aus Kanada zum Beispiel spricht von einem überhitzten Markt. Gold wirke technisch „überkauft“, sodass jede Nachricht, die das Tempo der geldpolitischen Lockerung in Frage stelle oder die Volatilität anheize, eine merkliche Gegenbewegung auslösen könne. In einem solchen Szenario sei eine spürbare Korrektur des späten Sommeranstiegs denkbar. Als mögliche Zielzone nennen die Analysten einen Rücksetzer bis auf etwa 3.600 US-Dollar je Unze.
Gleichzeitig bleibt die mittel- bis längerfristige Richtung aus ihrer Sicht intakt: Die jüngste Aufwärtsphase sei nicht nur von charttechnischen Faktoren getragen, sondern auch von strukturellen Nachfrageimpulsen. Entscheidend sei, ob sich die aktuellen Treiber – sinkende Realzinsen, Nettozuflüsse institutioneller Anleger und anhaltende Käufe des offiziellen Sektores (der Notenbanken) – fortsetzen.
Gold und Geldpolitik: Fed-Easing, Realrenditen und Investorenpositionierung
Zentrale Triebfeder für Gold ist laut TD Securities der erneute Lockerungszyklus der US-Notenbank. Mit fallenden Kurzfristzinsen sinken die Haltekosten für nichtverzinsliche Anlagen wie Gold. Viele Fondsmanager, die den frühen Teil der diesjährigen Rallye wegen hoher Geldmarktsätze verpasst hatten, seien in den späten Sommermonaten eingestiegen – auch in Erwartung weiter nachlassender Carry-Kosten.
Hinzu kommt ein geldpolitisches Risiko: Melek sieht die Möglichkeit, dass politischer Druck die Federal Reserve zu aggressiveren Zinssenkungen veranlassen könnte. In der Folge würden Realrenditen gedämpft – eine Konstellation, die Gold historisch begünstigt. In der Debatte steht dabei auch die Frage nach de-facto-Tendenzen zur (Teil-)Monetisierung von US-Staatsschulden; ein Umfeld, in dem Inflation über dem Ziel verharrt, würde die reale Verzinsung zusätzlich belasten und die Rolle von Gold als Wertspeicher stärken.
Zentralbanken als Stütze: China rückt im Goldmarkt in den Fokus
Ein weiterer Pfeiler der Nachfrage kommt aus den Tresoren der Zentralbanken. TD Securities erwartet, dass der offizielle Sektor – angeführt von China – seine Bestände weiter ausbauen und damit die strategische Diversifikation weg vom US-Dollar fortsetzt. Trotz eines seit 2022 intensivierten Kaufprogramms mache Gold bislang zum Beispiel nur rund 7,6 % der gesamten Devisenreserven der People’s Bank of China aus. Zum Vergleich: In den USA beträgt der Gold-Anteil an den Reserven nahezu 75 %.
Vor diesem Hintergrund verweist Melek auf einen theoretischen Hebel: Würde China seinen Gold-Anteil an den FX-Reserven um 10 % erhöhen, entspräche das – zu aktuellen Preisen gerechnet – einem zusätzlichen Kaufumfang von etwa 2.600 Tonnen. Eine solche Größenordnung ließe sich, sofern die Diversifikation konsequent verfolgt wird, nur über Jahre hinweg realisieren und würde den physischen Markt nachhaltig prägen.
Ausblick für Gold: kurzfristiges Korrekturpotenzial, strukturelle Stützen bleiben
Trotz der erhöhten Rückschlaggefahr zeichnet TD Securities einen konstruktiven Pfad für Gold in den kommenden Quartalen. Kurzfristige Schwächephasen wertet man angesichts eines intakten Aufwärtstrends als potenzielle Gelegenheit. Für das kommende Jahr rechnet das Haus im Durchschnitt mit einem Gold-Preis um 4.250 US-Dollar je Unze. Darüber hinaus erwarten die Analysten in der ersten Hälfte des Jahres 2026 neue Rekordniveaus „nördlich von 4.400 US-Dollar je Unze“, getragen von weiter sinkenden Leitzinsen, anhaltenden Käufen des offiziellen Sektors und einer erneuten Long-Positionierung diskretionärer Fonds.
Für Marktbeobachter ergibt sich daraus ein zweigeteiltes Bild: Auf der einen Seite steht das Risiko einer technisch getriebenen Korrektur in einem inzwischen ausgereizten Momentumumfeld. Auf der anderen Seite bleiben die maßgeblichen Fundamentalfaktoren – Realzinsen, Zentralbanknachfrage, Portfolio-Diversifikation – erhalten. Entscheidend wird sein, wie zügig die Federal Reserve ihren Lockerungspfad tatsächlich beschreitet und ob makroökonomische Unsicherheiten (Inflation, Fiskalpolitik, Wachstum) die Absicherungsmotivation verstärken.
Fazit: Gold hat mit dem Sprung über 4.000 US-Dollar je Unze ein neues Kapitel aufgeschlagen. Kurzfristige Schwankungen sind vor diesem Hintergrund wahrscheinlicher – doch die wesentlichen Treiber hinter der Rallye, von der Geldpolitik bis zu Zentralbankkäufen, bleiben bestehen. Für die Preisbildung in den kommenden Quartalen werden daher vor allem das Tempo der Fed-Lockerung, die Entwicklung der Realrenditen und die strategische Nachfrage großer Akteure ausschlaggebend sein.